Über diesen Blog
Hier bloggt Sigrid Unterstab, wie das Leben wieder farbenfroher gestaltet werden kann. Es gibt Wissenswertes & Tipps über Lehrerfortbildungen, Resilienz für Lehrer*innen und Erzieher*innen, Deutsch als Fremdsprache, Theaterpädagogik, Theatermethoden beim Sprachenlernen, Kunsttherapie.
Und Geschichten von Siggi Skorpion. Er schaut seinen Freundinnen und Freunden über die Schulter. Diese haben - wie wir wohl alle - liebenswerte Macken. Manche leben einfach damit, andere lassen sich helfen. So wie Ania, Konni, Thommy, Paula...
Ania Angsthase hat Angst vor Ameisen
Sie geht zum Angsttherapeuten. Naja, sie hat nicht wirklich Angst vor Ameisen. Sie mag sie nicht, aber Angst vor ihnen hat sie nicht.
Vor Spinnen hat sie Angst und vor Hunden.
Deshalb hat sie einen Termin beim Angsttherapeuten gebucht.
Vor dem Termin hat sie auch etwas Bammel. Was wird dort stattfinden? Beim Angsttherapeuten?
Vor dem ersten Treffen gibt es ein Telefonat. Der Therapeut hat eine ruhige angenehme Stimme, fragt und erklärt geduldig.
Außerdem war das Gespräch kostenlos. Nichts Schlimmes passiert also.
Sie geht durch die Straßen, beobachtet sich. Als sie einen Labrador trifft, wechselt sie die Straßenseite. Sicher ist sicher. Hier hängt eine fette Spinne mit Spinnennetz an einem Autospiegel. Unangenehm. Da es nicht ihr Auto ist, macht sie einen Bogen um Auto und Spiegel und geht weiter. Alles gut.
Übermorgen folgt das Strategiegespräch mit dem Therapeuten, per Video. Mal sehen, wie er aussieht. Was es kosten wird. Hoffentlich schleppt er keinen Hund zur Therapie an und keine Spinne. Sie hasst Konfrontationen.
Die Praxis soll im Erdgeschoss sein und einen kleinen Garten haben. Da können jetzt im Herbst schon mal Spinnen reinkriechen. Bäh.
‚Kopfkino, Schluss damit‘, sagt sich Ania A. ‚Ich bin eine taffe Frau, stehe mitten im Leben, habe keine schweren Krankheiten. Ich bin ein Glückskind. Habe lediglich diese kleine Angststörung. Das ist doch nun wirklich zu händeln.
Ein Spaniel.
Ania stutzt, zuckt, schwitzt.
Der Hundehalter sieht ganz vernünftig aus, dann ist es der Hund hoffentlich auch. Ein kleiner Schritt zur Seite, aber sie bleibt auf dem Fußweg.
Halter und Hund sind vorbei, es ist überstanden.
Ania ist komplett durchgeschwitzt. Wegen eines kleinen Hundes. Lächerlich. Ania ist gar nicht zum Lachen zumute.
Auch das Strategiegespräch geht glimpflich ab. Der Typ wirkt nicht wie ein Guru mit selbstgestrickten Socken, eher normal.
Was ist schon normal?
Er benutzt Zoom und hat eine vernünftige Terminbuchungssoftware, also er kommt nicht von hinterm Mond oder so.
Der Preis ist schon nicht niedrig, aber die Vorstellung, nach gar nicht so vielen Behandlungen vielleicht nie wieder wegen eines Spaniels zu schwitzen, überzeugt sie.
Ania ist motiviert. Das ist wichtig, hat der Therapeut gesagt. Kein Coaching ohne Auftrag und eine Therapie ist keine Zauberei.
‚Sie müssen mitarbeiten, Frau A. Dann haben wir gute Aussichten. Ein Heilversprechen gibt es nicht.'
Ein bisschen Sorge vor dem ersten Termin in der Praxis bleibt.
Und wenn er nun doch Hokuspokus macht? Oder selbstgestrickte Socken trägt?
Jetzt ist es entschieden, die Termine vereinbart, der Preis besprochen, der Vertrag und umfassende Informationen sind auf dem elektronischen Postweg.
Passwortgeschützt.
Um wirklich pünktlich zu sein, schaut sie sich vorher an, wo die Praxis ist. Wo sie ihr Auto parken kann oder wie der Weg von der U-Bahn-Station aussehen wird.
U-Bahn fährt sie nicht so gern. Viele Leute, der Geruch, manche tragen noch Masken: da kommt sie leicht ins Schwitzen und ihr Puls steigt.
Außerdem gibt es dort überall Hunde.
Autofahren geht besser. In der City ist sie die Königin, sie wechselt beherzt die Spuren.
Fahren auf der Autobahn stresst sie völlig. Die hohen Geschwindigkeiten und die Auffahrten, die LKWs.
Ist das auch Angst? Sollte sie dem Therapeuten davon berichten, bevor es losgeht?
Oder sich erstmal um die Hunde- und die Spinnenphobie kümmern?
Fragen über Fragen. Hoffentlich bleibt der Therapeut so geduldig.
Konni Kugelblitz
Konni mag ihren Familiennamen nicht besonders, mochte ihn nie.
‚Das ist kein Problem’, sagte ihr ebenfalls molliger Mitschüler Mirko Milan,
‚dann nennen wir Dich ab jetzt Konni Kugelblitz.‘
Konni war empört und nahm sofort 12 Kilo ab. Mirko Milan, den Vollpfosten, hat sie im Laufe der Jahre vergessen. Aber Essstörungen hat Konni entwickelt.
Gut, nicht nur deshalb, oft kommen mehrere oder viele Faktoren zusammen.
Aber schön war es nicht, dass sie Konni Kugelblitz zu ihr gesagt haben.
In ihrem Erwachsenenleben weiß niemand davon. Weder Thommy, der Superjogger, noch Ania, die beherzte Autofahrerin.
Niemand.
Konni hat sich ihre Strategien zugelegt.
Sie meditiert und sie flirtet ganz gerne mit Thommy. Wenn der ihr sagt, dass sie knackig aussieht, ist die Welt schon weniger schlimm.
Mit Ania, der wirklich taffen Ania fährt sie gern in die Stadt, um einen Kaffee zu trinken und ein kleines Stück Kuchen zu essen.
Aber Ania kann auch komisch sein.
Konni wollte schon immer mal wieder nach Kreuzberg, Ania ist partout dagegen.
Dort gäbe es zu viele Hunde.
Häh, was ist das denn für ein Argument? Kreuzberg ist cool.
Dann fährt sie am besten alleine nach Kreuzberg, beschließt sie.
Konni ist autark.
Kaum, dass das Vorhaben steht, trifft sie Paula Putzteufel. Sie freuen sich beide über das zufällige Treffen nach so vielen Jahren.
Paula erzählt von den Anderen.
Mirko wohne jetzt auch in Berlin, in Kreuzberg. Er sei richtig schlank im Gegensatz zu früher...
Konni hört nur noch mit einem halben Ohr zu.
Die Reise nach Kreuzberg hat sie sofort gecancelt.
Die Vorstellung, sie sitze bei Kuchenkaiser, vor Kaffee und einem kleinen oder großen Stück Käsekuchen, und Mirko flaniere vorbei, verdirbt ihr den Appetit. Sie spürt einen Kloß im Hals.
‚Paula, toll, dass wir uns getroffen haben, ich muss jetzt los, zum Meditationskurs.‘
‚Das finde ich auch, liebe Konni, schön war’s, komm mich doch mal in Potsdam besuchen.‘
Sie verabreden sich ganz fest. Beide haben vor, sich bald wieder zu treffen.
Konni ist erleichtert, so schnell vom Thema Mirko wegzukommen und freut sich auf ein Pils mit Paula. Potsdam ist viel cooler als Kreuzberg.
Thommy Tiger
Thommy Tiger hat einen Tinnitus. Das ist so ein fieser Ton im Ohr. Der nicht weggeht. Der immer da ist. Nur ganz selten vergessen wird.
Thommy ist der Typ „Macher“.
Gegen den Tinnitus hat er schon alles Mögliche versucht: Medikamente, Bewältigungstraining, Akupunktur, 12 Monate TRT, Sport natürlich, Entspannungstechniken:
AT, PMR, Yoga und wie sie alle heißen.
Das tat alles für den Moment sehr gut, geholfen hat es nur bedingt. Der Ton ist weiterhin da.
Bei Meditation hört für ihn der Spaß auf.
Jetzt hat Thommy den Tipp von einer Kollegin bekommen, es mal mit Hypnotherapie zu versuchen. Kollegin Konni mag er wirklich gut leiden, sie ist ihm sympathisch, aber sie ist eines von den Mädchen, die meditieren. Thommy bleibt skeptisch.
Ein paar Stunden Kunsttherapie sind ihm in einer stationären Behandlung über den Weg gelaufen. Wow, das war eine Entdeckung!
Doch irgendwann war das zu Ende, viel zu schnell.
Sollte er es mal mit Musiktherapie versuchen?
‚Oh Gott’ tobt Thommy, ‚das klingt wie Meditation!‘
Also jetzt Hypnotherapie.
Er schaut sich mehrere Websiten von Hypnotherapeuten an.
Es klingt gut. Aber auch unverständlich:
EMDR, EMW, EMI, EFT.
Was sind das für Leute, die so sprechen?
Er liest sich achtsam durch, was das alles bedeutet.
Es klingt vielversprechend.
NLP - Himmel, war das nicht dieser Manipulationskram aus amerikanischen Firmen?
Thommy braucht eine Pause. Kocht sich einen Kaffee. Koffeinfrei.
Kaffee ergo Kortisol sind nicht gut bei Tinnitus, das weiß Thommy längst.
Dazu holt er sich ein Eis aus dem Gefrierfach. Abkühlung ist immer gut.
Also nochmal NLP: so schlimm ist es ja doch nicht. Er wird seine Kollegin darauf ansprechen.
Kaffee & Eis taten gut.
Aber die Pause war zu kurz.
Er beschließt, erstmal joggen zu gehen. Die ganzen Abkürzungen in seinem Kopf zu sortieren.
‚Vielleicht laufe ich auch einfach den nächsten Halbmarathon, höre gute Musik dabei und vergesse den Tinnitus und die Hypnotherapie?‘ theoretisiert Thommy und joggt los.
Nach wenigen Minuten trifft er zufällig Kollegin Konni.
‚Konni, wie schön, dass wir uns treffen, kommst Du mit joggen?‘
Konni verdreht die Augen:
‚Thommy, so gerne ich mit Dir Zeit verbringe, aber Jogging ist nichts für mich. Ich bin auf dem Weg zum Meditationskurs.
Ach übrigens, bist Du schon weitergekommen mit dem Thema Hypnotherapie?‘
Konni bei Paula in Potsdam
Konni hat einen Blumenstrauß dabei und ein Sixpack Pils. Und Chips.
Sie ist bei Paula eingeladen.
Die beiden hatten sich nach Jahren zufällig getroffen, hatten ein kurzes nettes Wiedersehen, zu wenig Zeit zum Quatschen, aber das feste Vorhaben, sich wieder zu sehen.
Gesagt getan.
Konni ist aus Berlin nach Potsdam gefahren. Sie mag die Stadt.
‚Wollen wir ins Café Heider gehen? Oder ins Holländische Viertel?‘ hatte sie ortskundig gefragt.
Paula aber hat sie zu sich eingeladen, nach Hause.
‚Schön, ich komme gern zu dir.‘
Am Klingelschild steht wirklich P. Putzteufel.
Konni schmunzelt. Was für ein Familienname! Wenn sie so heißen würde, würde sie sich sofort umbenennen.
Obwohl, sie selber hat auch noch ihren ungeliebten Mädchennamen.
‚Sollte ich mal heiraten, kommt der Name sofort auf den Müllberg der Geschichte‘, schwört sie sich. Gleichzeitig weiß sie, dass das mit der Hochzeit noch dauert, bis dahin müsste sie 12 Kilo abnehmen.
So what. Heute gibt es Pils & Chips, wir machen uns einen schönen Abend.
Dingdong.
Paula öffnet sehr schnell.
Hat sie schon hinter der Tür gestanden?
Bin ich zu spät?
Ach was, alles in Ordnung.
Paula ist schön, freundlich, manchmal richtig herzlich.
‚Ziehst Du bitte die Schuhe aus, Konni? Ich habe einen neuen Teppich.‘
‚Ja, klar.‘
Dieses Schuhe-auszieh-Thema findet Konni meist ein bisschen albern. Egal.
Ihr Kollege Thommy hat auch diese fixe Idee, sofort die Schuhe auszuziehen. Aber gut, der joggt durch verdreckte Wälder.
Konnis Schuhe sind sauber, sie zieht sie brav aus. Stellt sie auf so eine Schuhabstellschale vor der Tür.
‚Solange mir keiner meine 360,- Euro-Schuhe klaut, soll mir das egal sein‘, denkt sie sich und schlüpft in den Flur.
Den Blumenstrauß hatte sie vorsorglich vom Papier befreit. Beim Überreichen fällt ein Blütenblatt herunter. Paula hebt es auf, dann freut sie sich über die Blumen.
Sie gehen ins Wohnzimmer. Flashback für Konni. Wo habe ich diese Wohnung schonmal gesehen?
Dann gehen sie in die Küche. Paula stellt die Blumen in eine Vase, die Blumen bekommen gefiltertes Wasser. Ein Stück Küchenrolle verschluckt die zwei Tropfen, die daneben gegangen sind. Jeder Handgriff sitzt.
Konni überreicht das Pils und die Chips. ‚
‚Danke Konni, wie lieb von Dir. Ich hatte Wein kaltgestellt, aber Bier ist auch gut.‘
Schlagartig ist Paula überfordert. Welche Gläser? Oder aus der Flasche? Chips krümeln so doof. Servietten?
‚Ich habe etwas zu essen vorbereitet, ein bisschen Fingerfood, das ist lecker und macht keinen Dreck.
Nur die Finger, ok., aber die lassen sich ja waschen und danach desinfizieren.‘
Konni wird komisch zumute. Sie weiß nicht so richtig, warum.
Fingerfood ist super. Das ist lecker, macht nicht dick und passt zu Pils und Chips. Was genau war das Problem mit den Chips?
Sie gehen ins Wohnzimmer.
Woher bloß kenne ich dieses Zimmer?
Wie Krümel, Quatsch, wie Schuppen fällt es ihr von den Augen: letztens im Möbelhaus, da sah es genauso aus. Genauso perfekt, genauso sauber.
Konni kombiniert.
Paula beginnt zu erzählen. Wird noch freundlicher, das Bier lockert die Zunge.
Etwas steif bleibt sie trotzdem.
Was ist bloß los mit Paula?
‚Ach, alles gut, ich hatte nur heute echt viel zu tun: habe gewaschen und sortiert und dann noch mehrere Kilo Waschmittel nach Hause geschleppt und die Fenster wollte ich auch noch schnell geputzt haben, bevor Du kommst.‘
Paula hört gar nicht mehr auf. Erzählt schnell, was sie heute gemacht hat. Wenn das Tempo annähernd so war wie ihr Bericht jetzt, dann muss sie total kaputt sein.
‚Total lieb von Dir, Paula, dass Du Fingerfood für uns gemacht hast, alles wirklich lecker. Die Fenster hättest Du wegen mir aber nicht unbedingt putzen müssen.‘
Konni formuliert es vorsichtig. Sie hat verstanden: Paula hat Zwänge. Waschen. Putzen. Perfekt sein. Vielleicht auch mehr.
Paula ist jetzt beschwipst genug, dass Konni mit ihr darüber reden kann.
‚Paula, mit Zwängen kenne ich mich nicht aus, aber ich empfehle meinen Freunden, die etwas plagt, immer Meditation und Hypnotherapie.‘
‚Das hilft nicht, habe mich schon umfassend darüber informiert. Meine Mutter und ihre Zwillingsschwester, meine Tante, haben das auch. Sie waren mehrere Wochen stationär in Behandlung, das brachte kleinere Verbesserungen. Nicht total, aber doch so, dass sie nicht mehr bis zur Erschöpfung schuften und putzen und desinfizieren. Ich würde so einen Aufenthalt auch gerne auch probieren, aber ich habe keine Zeit, stundenlang diese ganzen Anträge auszufüllen.‘
‚Wenn ich Dich richtig verstehe, geht es darum, Dir ein paar Freiräume zu schaffen, die es Dir dann ermöglichen, den Klinikaufenthalt zu beantragen? Dich so zu stabilisieren, dass Du einen Anfang machen kannst?‘
‚Konni, Du verstehst mich. Danke. Ich freue mich total, dass wir uns getroffen haben. Jetzt muss ich aber mal schnell ins Bad. Das viele Bier. Und ich habe klebrige Finger.‘
Sie verschwindet. Konni schluckt. Nimmt sich noch Chips und ein Zucchini-Lachs-Röllchen. Dann wirft sie mehrere Chips unter den Tisch. Tritt die Krümel breit.
Paula kommt zurück.
‚Ich danke Dir, Konni, es geht mir schon viel besser. Ich lüfte mal schnell, es riecht hier nach Bier und Chips und Fisch.‘
‚Und nach Desinfektionsmittel‘, kontert Konni.